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Briefing

Nach dem Brexit – wie werden gerichtliche Schriftstücke in Verfahren mit UK-Bezug zugestellt?

I. Einleitung

Zu den vielen praktischen Herausforderungen, die der Brexit für deutsche Unternehmen mit sich bringt, gehört die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke in Verfahren mit Bezug zum Vereinigten Königreich. Denn mit dessen Ausscheiden aus der EU und dem Ablauf der Übergangsfrist zum 31. Dezember 2020 verliert die bewährte Europäische Zustellungsverordnung (EuZVO) ihre Wirkung in den Rechtsbeziehungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich. Lediglich für wenige Konstellationen, die bereits vor dem 31. Dezember 2020 begonnen wurden, behält die Verordnung abhängig von den Umständen des Einzelfalls temporär Relevanz (Artikel 68 lit. a) des Austrittsabkommens). Durch den Wegfall der EuZVO im Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und dem Vereinigten Königreich entsteht eine erhebliche Lücke. Dabei ist die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke von großer praktischer Relevanz:

  • Die Zustellung sichert Parteien im gerichtlichen Rechtsverkehr ihren Anspruch auf Justizgewährung und effektiven Rechtsschutz sowie spiegelbildlich den Anspruch auf rechtliches Gehör.

  • Die Zustellung einer Klage hemmt nach deutschem Recht die Verjährung.

  • Die Zustellung einer Klage bewirkt nach deutschem Recht die Rechtshängigkeit.

  • Durch die Rechtshängigkeit wird ein später in derselben Sache angerufenes Gericht „blockiert“.

  • Die ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks ist in grenzüberschreitenden Situationen insbesondere Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und wirkt sich auf den Erlass von Versäumnisurteilen aus.

Die Frage, welche Regelungen nunmehr im Verhältnis zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich gelten und was Parteien bei der Zustellung von Deutschland in das Vereinigte Königreich und umgekehrt zu beachten haben, wird im Folgenden erläutert.



II. Zustellung von Deutschland in das Vereinigte Königreich nach dem Brexit

Die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke wie beispielsweise Klagen, gerichtliche Verfügungen oder Beweisbeschlüsse von Deutschland in das Vereinigte Königreich richtet sich seit dem 1. Januar 2021 nach dem Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HZÜ – dazu 1.) und nach dem Deutsch-britischen Abkommen über den Rechtsverkehr vom 20. März 1928 (dazu 2.). Welcher der beiden Wege sich am besten eignet, ist – wie so oft – eine Frage des Einzelfalls. Sowohl das BMJV als auch die für Zustellungsfragen zuständige Zentrale Behörde im Vereinigten Königreich (The Senior Master, Foreign Process Section of the Royal Courts of Justice) gehen davon aus, dass das bilaterale Abkommen nach wie vor in Kraft ist, dessen Regelungen nach Artikel 25 HZÜ vom HZÜ unberührt bleiben.


Zustellungswege nach dem HZÜ

Das HZÜ sieht im Wesentlichen folgende Zustellungswege vor:

  • Rechtshilfezustellung über Zentrale Behörden als Übermittlungs- und Empfangsstellen: Zentrale Behörde in Großbritannien ist „The Senior Master, Foreign Process Section of the Royal Courts of Justice“ in London.

  • Die Zustellung wird von der Zentralen Behörde Großbritanniens bewirkt und veranlasst, entweder (i) im Wege einer förmlichen Zustellung, d.h. regelmäßig in der Form, die das britische Recht für die Zustellung vorsieht oder (ii) im Wege einer einfachen Übergabe des Schriftstücks an den Empfänger, wenn dieser annahmebereit ist.

  • Bei förmlicher Zustellung ist eine Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks in die englische Sprache erforderlich (Artikel 5 Absatz 3 HZÜ, § 26 ZRHO).

  • Sog. Vereinfachte Zustellungen für gerichtliche Zustellungen unmittelbar durch die Post nach Artikel 10 lit. a HZÜ; das Vereinigte Königreich hat indes der Anwendung der weiteren Vereinfachungen nach Artikel 10 lit. b und lit. c HZÜ widersprochen.


Schriftstücke, die nach deutschem Recht im Wege der Parteizustellung zuzustellen sind, wie etwa einstweilige Verfügungen oder Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, gelten als außergerichtliche Schriftstücke im Sinne des HZÜ. Solche Schriftstücke können nach Artikel 17 HZÜ auch nach den allgemeinen Regeln zugestellt werden. Alternativ ist eine Zustellung im Parteibetrieb möglich; ihr steht der gegen Artikel 10 HZÜ erklärte Teilwiderspruch des Vereinigten Königreichs nicht entgegen.


Zustellungswege nach dem Deutsch-britischen Abkommen

Neben dem HZÜ ist auch eine Zustellung nach dem Deutsch-britischen Abkommen über den Rechtsverkehr möglich. Nach diesem Abkommen kann (i) über den konsularischen Weg, (ii) durch formlose Übergabe an den annahmebereiten Adressaten oder (iii) in einer Form, wie sie für nationale Zustellungen vorgesehen ist, zugestellt werden. Praktisch kaum relevant sein dürfte die Zustellung an einen „Vertreter“ ohne Mitwirkung der Behörden, wenn der Adressat nicht Angehöriger des Empfangsstaats ist.

Bedeutsam ist vor allem die nach Artikel 6 des Abkommens mögliche Postzustellung. Sie ist bei allen Schriftstücken möglich, die auch nach deutschem Recht per Post zugestellt werden können. Grenzüberschreitend wird eine entsprechende Zustellung durch Einschreiben International vorgenommen. Hierbei enthält die elektronische Zustellbestätigung den Namen des Zustellungsempfängers, den Zustellzeitpunkt und die Unterschrift.


III. Zustellung von britischen Schriftstücken in Deutschland

Sollen britische gerichtliche Schriftstücke in Deutschland zugestellt werden, gelten die unter II. dargestellten Rechtsinstrumente mit folgenden Abweichungen und Besonderheiten:

  • Als Zentrale Behörde im Sinne des HZÜ sind die jeweiligen Landesjustizverwaltungen bestimmt worden. Abweichend davon wird diese Aufgabe in einigen Bundesländern von den Präsidenten der Amts-, Land- oder Oberlandesgerichte wahrgenommen, so etwa in Nordrhein-Westfalen vom Präsidenten des OLG Düsseldorf (§ 9 Abs. 4 ZRHO). Um die zustellungsfähige Adresse des Adressaten in Deutschland ausfindig zu machen, kann eine Melderegisterauskunft beantragt werden.

  • Eine förmliche Zustellung nach Art. 5 Abs. 1 HZÜ ist nur zulässig, wenn das zuzustellende Schriftstück in deutscher Sprache abgefasst oder übersetzt ist.

  • Eine vereinfachte Zustellung nach Artikel 10 HZÜ aus Großbritannien nach Deutschland ist nicht möglich, da Deutschland einen völkerrechtlichen Widerspruch erklärt hat.

  • Für die Postzustellung nach Artikel 6 des Deutsch- britischen Abkommens kommt es darauf an, ob auch nach dem Recht des Vereinigten Königreichs ein entsprechendes Schriftstück auf dem Postweg zugestellt werden dürfte.


IV. Auswirkungen auf die Praxis

Auch seit dem 1. Januar 2021 ist eine Zustellung gerichtlicher Schriftstücke aus Deutschland in das Vereinigte Königreicht und umgekehrt grundsätzlich möglich, auch wenn die Zustellung voraussichtlich länger dauern wird als nach der EuZVO. Insbesondere das Deutsch- britische Rechtshilfe-Abkommen dürfte auch in Zukunft eine zügige (Post-)Zustellung gewährleisten. Die Frage der Wirksamkeit der Zustellung einer Klage oder eines verfahrenseinleitenden Antrags richtet sich grundsätzlich nach dem Recht des angerufenen Prozessgerichts (lex fori) einschließlich der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge. Bei einer Auslandszustellung spielt außerdem häufig das Zustellungsrecht des ersuchten Staates eine Rolle. Auf Folgendes ist aber grundsätzlich bei grenzüberschreitenden Zustellungen im Verhältnis zum Vereinigten Königreich besonders zu achten:

  • Eine Heilung etwaiger Zustellungsmängel bei Auslandszustellungen ist nur eingeschränkt möglich.

  • Es empfiehlt sich, bei Zustellungen nach Großbritannien künftig grundsätzlich Übersetzungen der zuzustellenden Dokumente beizufügen, wobei die Übersetzung im Anwendungsbereich des HZÜ keiner besonderen Form bedarf.

  • Insbesondere für Unternehmen, die in verschiedenen Jurisdiktionen ansässig sind und dauerhafte grenzüberschreitende Geschäftsverbindungen unterhalten, kann es sich zudem anbieten, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, um das Verfahren nicht mit Unsicherheiten und Verzögerungen zu belasten.

Freshfields-Nach-dem-Brexit-wie-werden-gerichtliche-Schriftstucke-in-Verfahren-mit-UK-Bezug-zugestellt
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