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Briefing

Verfassungswidrigkeit des nationalen Emissionshandels nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) in der Einführungsphase 2021 bis 2025

Ab Januar 2021 beginnt der nationale Emissionshandel. Dieser wird besonders Mineralölunternehmen, Tanklagerbetreiber, Gaslieferanten und sonstige betroffene Industrieunternehmen vor wirtschaftliche und rechtliche Herausforderungen stellen. Ab dem Jahr 2023 gilt dies auch für Kohlebetriebe und Kohlelieferanten. Im Folgenden stellen wir die Grundlagen dieses neuen Handelssystems vor und erläutern, warum die Pflicht zum Erwerb und zur Abgabe von Emissionszertifikaten erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Wir zeigen zudem auf, welche Handlungsmöglichkeiten für betroffene Unternehmen bestehen.

Verschärfung des BEHG schon vor Beginn der Einführungsphase

Ende letzten Jahres wurde das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) verabschiedet. Das BEHG ergänzt das im Treibhausemissionshandelsgesetz (TEHG) geregelte europäische Emissionshandelssystem und betrifft insbesondere die Sektoren Verkehr und Wärme. Es richtet sich an Unternehmen, die aufgrund des Inverkehrbringens von Brennstoffen (insbesondere Ottokraftstoffe, Diesel, Flüssiggas, Erdgas, Heizöl, Kohle) energiesteuerpflichtig sind (sog. „Verantwortliche“). Die Verantwortlichen müssen dem Umweltbundesamt jährlich bis zum 31. Juli die Gesamtmenge ihrer Brennstoffemissionen des vorangegangenen Kalenderjahres mitteilen (Berichtspflicht). Weiterhin müssen sie bis zum 30. September beim Umweltbundesamt für das vorangegangene Kalenderjahr gültige Emissionszertifikate in einer Anzahl abgeben, die der berichteten Gesamtmenge an Brennstoffemissionen entspricht (Abgabepflicht). Für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Dezember 2025 ist zunächst eine allgemeine Einführungsphase vorgesehen. Während der Einführungsphase werden die Emissionszertifikate vom Umweltbundesamt ohne mengenmäßige Begrenzung zu einem Festpreis veräußert. Ein Emissionszertifikat berechtigt dazu, innerhalb eines bestimmten Kalenderjahrs eine Tonne Kohlendioxidäquivalent zu emittieren.

Der Bundestag hat bereits jetzt eine erhebliche Erhöhung der Festpreise für Emissionszertifikate innerhalb der Einführungsphase des Emissionshandels beschlossen: Der Festpreis beträgt nunmehr 25 EUR pro Zertifikat für das Kalenderjahr 2021, 30 EUR pro Zertifikat für das Kalenderjahr 2022, 35 EUR pro Zertifikat für das Kalenderjahr 2023, 45 EUR pro Zertifikat für das Kalenderjahr 2024 und 55 EUR pro  Zertifikat für das Kalenderjahr 2025. Die Bundesregierung rechnet allein für das Jahr 2021 mit Einnahmen in Höhe von 7,7 Mrd. EUR, für 2023 werden Einnahmen in Höhe von rund 10 Mrd. EUR erwartet. Angesichts dieser progressiven Preisentwicklung rechnet die Bundesregierung in der Einführungsphase mit Gesamteinnahmen von deutlich über 40 Mrd. EUR.

Betroffene Unternehmen müssen die für das Jahr 2021 gültigen Zertifikate zwar erst bis zum 30. September 2022 abgeben. Trotzdem berührt das BEHG schon jetzt den unternehmerischen Alltag der Betroffenen, da die für das Jahr 2021 gültigen Zertifikate ab Januar 2021 veräußert werden. Dementsprechend müssen sich die unter das Gesetz fallenden Unternehmen auf den Brennstoffemissionshandel vorbereiten und Erwerbsstrategien ausarbeiten.

Erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des BEHG

Das BEHG einschließlich der Pflicht zur Abgabe von Emissionszertifikaten begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Gleich mehrere Rechtsgutachten haben im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses die Auffassung geäußert, dass die in der Einführungsphase bis Ende 2025 für den Kauf von Emissionszertifikaten erforderliche Festpreiszahlung an das Umweltbundesamt eine verfassungsrechtlich unzulässige Abgabe ist. Für diese Auffassung sprechen gewichtige Gründe:

  • Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine vom Bundesgesetzgeber beschlossene Abgabe richten sich nach ihrer Rechtsnatur. Hierbei müssen insbesondere Steuern und nichtsteuerlichen Abgaben voneinander abgegrenzt werden. An das Umweltbundesamt geleistete Festpreiszahlungen für den Erwerb von Emissionszertifikaten sind keine Steuern, sondern nichtsteuerliche Abgaben, weil sie
    nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum europäischen Emissionshandelssystem eine individualisierte Gegenleistung darstellen dürften (konkreter Erwerb des verbrieften Rechts, Brennstoffe in den Verkehr zu bringen, die einer Tonne Kohlendioxidäquivalent entsprechen), Steuern aber stets gegenleistungsunabhängige Geldleistungen sind.

  • Nichtsteuerliche Abgaben bedürfen einer besonderen Rechtfertigung, um zu vermeiden, dass Bund und Länder ihre  Sachgesetzgebungskompetenzen zum Anlass nehmen, um durch nichtsteuerliche Abgaben das Werte- und Verteilungssystem der Finanzverfassung zu unterlaufen und so übergebührliche finanzielle Belastungen der Bürger jenseits des ausbalancierten existierenden Steuersystems zu erzeugen. Ein anerkannter Rechtfertigungsgrund für die Einführung nichtsteuerlicher Abgaben kann die  Leistung einer Ausgleichszahlung an das Gemeinwesen (sog. Abschöpfung) für einen Sondervorteil sein, der in der Nutzung einer knappen natürlichen Ressource durch den Einzelnen liegt. Ein solcher Sondervorteil wird angenommen, wenn dem Nutzungsberechtigten ein exklusives Nutzungsrecht an der Ressource gewährt wird, so dass andere das betreffende Gut nicht oder nicht in gleichem Umfang nutzen dürfen. In seinem Beschluss vom 5. März 2018 zur Verfassungsmäßigkeit des TEHG hatte das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass diese Rechtsprechung auch für die Reinheit des Umweltmediums Luft gelte. Dem Gesetzgeber stehe es deshalb grundsätzlich frei, die Belastung von Luft durch CO2-Emissionen einer öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftung zu unterstellen. Dies setze allerdings zwingend voraus, dass das Recht zur Emittierung von CO2 bzw. zur Inverkehrbringung CO2-lastiger Brennstoffe kontingentiert und damit künstlich verknappt wird.

  • Auch die nach § 10 BEHG erforderliche Festpreiszahlung für den Erwerb von Brennstoffemissionszertifikaten hat die Rechtsnatur einer Vorteilsabschöpfungsabgabe im vorgenannten Sinne. Denn mittels der Festpreiszahlung sollen die Verantwortlichen den Sondervorteil abgelten, der aus der Möglichkeit erwächst, typischerweise CO2-emittierende Brennstoffe im Sinne des BEHG in den Verkehr zu bringen. Anders als im Fall des Zertifikatehandels auf Basis des TEHG ist in der Einführungsphase des BEHG aber das Umweltbundesamt berechtigt, eine unbegrenzte Anzahl von Emissionszertifikaten zu Festpreisen zu veräußern – das vom Bundesverfassungsgericht geforderte exklusive Nutzungsrecht, das durch den Zertifikaterwerb abgegolten werden sollte, ist in dieser Phase gerade nicht gegeben. U.E. ändern auch die sog. Flexibilisierungsinstrumente nach § 5 BEHG, welche einen Handel nach dem BEHG letztlich dem weiten Rahmen der EU-Klimaschutzverordnung unterstellen, an diesem Befund nichts.

  • Auch wenn im Gesetzgebungsverfahren verschiedene Erlösverwendungen erwogen wurden, haben diese keinen gesetzlichen Niederschlag gefunden. Stattdessen kann der Bund die Erlöse aus dem Zertifikatehandel grundsätzlich frei verwenden. Wenn aber eine Sondervorteilsabschöpfung im vorgenannten Sinne fehlt und die Abgabe zugleich der Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben dient, wie es § 3 Abs. 1 AO als Charakteristikum des Steuerbegriffs voraussetzt, dann ist die Emissionsfestpreiszahlung in der Einführungsphase ihren Wirkungen nach eine mit einer (Energie-) Steuer vergleichbare Abgabe, ohne jedoch der eigentlichen Rechtsnatur und Ausgestaltung nach eine Steuer zu sein. Die Schutz- und Begrenzungsfunktion der verfassungsrechtlichen Finanzordnung wird unterlaufen; der Gesetzgeber erzeugt eine steuergleiche Belastung im Gewand einer Vermögensabschöpfungsabgabe. Es spricht vieles dafür, dass als Konsequenz auch die Pflicht zur Abgabe von Brennstoffemissionszertifikaten für die Kalenderjahre 2021 bis 2025 verfassungswidrig ist, denn deren Erfüllung zwingt die Verantwortlichen, Brennstoffemissionszertifikate zu erwerben und damit unmittelbar oder mittelbar den Emissionsfestpreis an das Umweltbundesamt zu bezahlen.

Konsequenzen einer Verfassungswidrigkeit des BEHG

Entscheiden sich die zur Abgabe von Brennstoffemissionszertifikaten verpflichteten Unternehmen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, kommt insbesondere eine vorbeugende negative Feststellungsklage in Betracht, die auf die Feststellung gerichtet ist, dass die in § 8 BEHG geregelte Abgabepflicht für die Kalenderjahre 2021-2025 nicht besteht. Eine solche Feststellungsklage könnte die zuständigen  Verwaltungsgerichte veranlassen, eine konkrete Normenkontrolle beim BVerfG anzustrengen und insoweit eine verfassungsrechtliche Klärung der oben erörterten Streitfrage herbeizuführen. Ob ergänzend eine sofortige Verfassungsbeschwerde ohne sog. Rechtswegerschöpfung Erfolg hätte, muss angesichts der diesbezüglichen Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts vorsichtig bewertet werden. Nach Erschöpfung des Rechtswegs wäre die Verfassungsbeschwerde bei Ausbleiben einer konkreten Normenkontrolle demgegenüber das Mittel der Wahl. Weiterhin besteht die Möglichkeit, eine sog. Inzidentüberprüfung der Regelungen des BEHG im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung einer Einzelmaßnahme nach dem BEHG durchführen zu lassen. Hierbei könnten insbesondere die  Berichtspflicht nach § 7 BEHG, der Zertifikatserwerb nach § 10 BEHG oder die Zertifikatsabgabe nach § 8 BEHG mögliche Aufgriffspunkte  einer gerichtlichen Kontrolle sein. Die Zweckmäßigkeit des Vorgehens sollte am konkreten Einzelfall orientiert werden, da verschiedene Wege der gerichtlichen Kontrolle denkbar sind.

Siehe hierzu auch unser Briefing zum ersten Gesetz zur Änderung des BEHG.

Siehe außerdem auch den Gastbeitrag von Georg Roderburg, Ulrich Scholz und Hendrik Wessling in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.